Stuttgarter Zeitung vom 10.10.2025 | Jochen Klingovsky
Dass sie einen mutigen Schritt wagen, dessen sind sich die Verantwortlichen der Binder Blaubären TSV Flacht bewusst. Übermut allerdings ist nicht im Spiel: Der Verein geht seine erste Saison in der Volleyball-Bundesliga der Frauen mit großem Realismus an.
„Siege zu erwarten wäre falsch, auch wenn wir alles dafür tun werden, um möglichst oft zu punkten“, sagt Sportdirektor Jan Lindenmair vor der Auftaktpartie an diesem Samstag (18.30 Uhr) in Erfurt, „wir sind sehr demütig, denn wir wissen, dass wir – Stand heute – ein Zweitligist sind, der erstklassig spielt.“ Doch dabei soll es nicht bleiben.
Weil es in der vergangenen Saison nur neun Bundesligisten gab, von denen längst nicht alle finanziell gesund waren, bot der Liga-Verband (VBL) ambitionierten Zweitligisten einen Paketaufstieg an. Neben dem Meister Skurios Volleys Borken nahmen auch die Binder Blaubären TSV Flacht (6.) und der ETV Hamburg (7.) diese Chance wahr – zwei Vereine aus dem Mittelfeld, die nur ein paar Spiele mehr gewonnen als verloren hatten, sich aber viele Gedanken über Perspektiven gemacht haben. „Wir sind nicht nur mutig, sondern auch ehrgeizig“, erklärt Jan Lindenmair, „wir haben das Potenzial, um uns sportlich und wirtschaftlich weiterzuentwickeln – und wir glauben, dass dies als Bundesligist besser geht als in der zweiten Liga.“ Zumal es zeitlichen Spielraum gibt.
In der Saison 2025/26 und der Saison 2026/27 können die drei Aufsteiger nicht absteigen, sie haben also die Garantie, zumindest drei Jahre erstklassig zu sein. „Dann werden wir sehen, wo wir stehen“, sagt Jan Lindenmair, der von 2009 bis 2013 Trainer von Allianz MTV Stuttgart war, „und ob es uns gelungen ist, uns in der Bundesliga zu etablieren.“ Bis dahin? Gibt es reichlich Arbeit.
Die Binder Blaubären TSV Flacht und ihr Manager Michael Kaiser haben bereits jetzt viel getan, um bestmöglich auf die Bundesliga vorbereitet zu sein. Der Etat wurde gesteigert, die Qualität der Mannschaft erhöht, am Eventcharakter der Heimspiele gearbeitet. Für den Neuling waren das große Entwicklungsschritte, im Vergleich zur Konkurrenz aber kam der Club kaum voran. Das beste Beispiel sind die Finanzen: Es ist eine beachtliche Leistung, das Jahresbudget von 250 000 Euro auf rund 350 000 Euro zu erhöhen, was jedoch nichts daran ändert, dass der Abstand zu Topvereinen wie dem SSC Palmberg Schwerin oder Allianz MTV Stuttgart, deren Etats sich weit jenseits der Marke von zwei Millionen Euro bewegen, riesig geblieben ist. „Wir spielen zwar unter etwas besseren Rahmenbedingungen als in der zweiten Liga“, erklärt Sportdirektor Lindenmair, „doch die Klasse unserer Gegner ist komplett anders.“ Und auch der Grad der Professionalisierung.
Der TSV Flacht hat in Manuel Hartmann zwar erstmals einen Profitrainer verpflichtet, drei Viertel der Spielerinnen aber arbeiten in Vollzeit, der Rest ist tagsüber im Studium gefordert. Die wöchentlich vier Einheiten fürs Team finden allesamt abends statt, die beiden, die zusätzlich morgens angeboten werden, erfreuen sich eher geringer Resonanz.
„Das Niveau der Bundesliga ist in den letzten zehn Jahren an der Spitze zwar gestiegen, insgesamt aber mangels Masse eher gesunken, und trotzdem sind uns die Teams aus der Tabellenmitte wie Wiesbaden, Aachen, Münster oder Suhl immer noch meilenweit voraus“, sagt Jan Lindenmair, „bei uns spielt niemand unter Profibedingungen.“ Was am Reiz nichts ändert.
Die Vorfreude der Flachter Volleyballerinnen auf die neue Saison und ihre Herausforderungen ist nicht nur bei den Bundesliga-Debütantinnen groß, sondern auch bei Frauke Neuhaus, Leonie Büdenbender oder Roxana Vogel, die schon Erfahrungen in der deutschen Eliteklasse gesammelt haben. Vor allem auf die Qualitäten von Außenangreiferin Neuhaus (32), die nach ihrer Zeit bei Allianz MTV Stuttgart II in Aachen, Straubing, Wiesbaden und Schwerin aufschlug, setzt der Aufsteiger. „Sie ist unsere wichtigste Spielerin“, sagt der Sportchef, „nicht nur, weil sie immer noch viel Power im Arm hat.“ Sondern auch als Führungsfigur.
Schließlich ist es gut möglich, dass der Zusammenhalt im Team auf eine harte Probe gestellt wird – wenn gute Resultate ausbleiben. „Wir machen derzeit im Verein das Beste aus unseren Möglichkeiten“, erklärt Jan Lindenmair, dessen Mannschaft ihre Heimpremiere am Mittwoch, 15. Oktober, gegen den USC Münster feiert, „und trotzdem kann es passieren, dass wir in dieser Saison zwar mithalten, aber wenig bis gar nichts gewinnen. Das wäre traurig, würde uns aber nicht entmutigen.“ Weil die Entwicklung wichtiger ist als die Ergebnisse.